Warum man Gott nicht mehr als „Herrn“ beschreiben kann

Angeregt von diesem Blogpost von Matthias Jung habe ich das Bedürfnis, einmal aufzuschreiben, warum es meiner Ansicht nach nicht möglich ist, Gott heute noch als „Herrn“ zu beschreiben.

Diese in den Kirchen (immer noch) weit verbreitete Gepflogenheit ist von feministischen Theologinnen schon lange kritisiert worden, mein Einwand gegen den Begriff ist also nicht originell. Allerdings möchte ich etwas andere Gründe in den Vordergrund schieben.

Üblicherweise wird dabei kritisiert, dass „Herr“ ein klar männlich besetzter Begriff ist (und neben dem Bild von Gott als „Vater“ damit die imaginierte Männlichkeit Gottes weiter festklopft). Außerdem werde damit ein strenger, autoritärer, ungnädiger Richtergott evoziert. Von der Gegenseite wird dieser feministischen Kritik dann oft vorgeworfen, sie würde Gott verniedlichen wollen, ihn zu einem „Kuschelgott“ machen.

Meiner Meinung nach ist es genau andersrum. Gott heute noch als „Herrn“ zu bezeichnen, macht das Konzept von Gott klein und lächerlich. Und zwar deshalb, weil sich die Bedeutung und der Kontext des Begriffs „Herr“ inzwischen völlig verändert hat.

In biblischer Zeit und auch noch zu Luthers Zeiten hatte jeder Mensch Erfahrung mit Herren, aber praktisch niemand war selber einer. Demokratie und Gleichheit waren als Ideale des menschlichen Zusammenlebens noch nicht erfunden. Dass es Menschen gab, die quasi naturgemäß „höher“ standen als man selbst, war für die meisten eine Selbstverständlichkeit, eine reale Erfahrung. Es gab Herren und Knechte, und die Herren waren die, die oben standen, die die Macht (und oft auch Autorität) hatten, die das Sagen hatten, ohne dass es da viel zu diskutieren gab.

In einem solchen Kontext Gott als „Herrn“ zu beschreiben, knüpfte also an diese reale Erfahrung an: Gott hat das Sagen, Gott steht oben, Gottes Wille ist maßgeblich für dich. Und, mehr noch, es hatte einen kritischen Impuls im Verhältnis zu den tatsächlichen, irdischen Herrschern: Gott ist dein Herr, nicht der Fürst, nicht der König. Im Zweifel musst du Gott gehorchen, nicht denen, die hier in der Welt als Herren gelten.

Inzwischen gibt es aber keine Herren mehr, beziehungsweise keine, die sich selber so nennen würden. Das Konzept der Herrschaft wird nirgendwo mehr geteilt. Es gibt Herrschaft natürlich (leider) nach wie vor, aber die Herrschenden müssen sich heute rechtfertigen: Sie seien demokratisch legitimiert, sie hätten sich ihre Macht durch Leistung erarbeitet, sie täten mit ihrer Herrschaft der Welt etwas Gutes oder dergleichen. Niemand kann sich einfach darauf berufen, eben „der Herr im Haus zu sein“ und basta. Herrschaft einfach nur so, aus sich selbst heraus, hat als Konzept ausgedient.

Um das ganz deutlich zu machen und im Alltag aller Menschen zu verankern, sind heute alle Männer „Herren“, der Herr Schmidt und der Herr Meier (was natürlich den Aspekt der Vermännlichung Gottes noch einmal exponenziell verschlimmert, denn der „Herr Gott“ ähnelt jetzt nicht mehr nur einigen wenigen Männern, sondern allen).

Gott in dieser Situation nach wie vor als „Herrn“ zu beschreiben, hat also zweierlei zur Folge:

Versteht man es im ursprünglichen, hierarchischen Sinn, dann ist ein „Herrgott“ etwas Antiquiertes, Vordemokratisches, etwas, das keinerlei Verankerung mehr in der alltäglichen Lebensrealität der Menschen hat, aus der die Herren (in diesem expliziten, positiv besetzten Sinn) nämlich zum Glück längst verschwunden sind. Gott, der „Herr“, wird logischerweise bekämpft, so wie alle Herren, und zu Recht.

Versteht man es im alltäglichen Sinne von „Jeder x-beliebige Mann“ dann ist das Konzept „Gott“ erst recht überflüssig. Es sagt dann nämlich: Gott ist nichts Besonderes, er ist zwar nicht so wie die Frauen, aber doch so wie alle Männer, und wer braucht das schon?

Es ist also ein Missverständnis, zu glauben, die feministische Kritik am „Herr Gott“ würde Gott klein machen und sich davor scheuen, Gottes Größe und Unhintergehbarkeit anzuerkennen. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Die Rede von Gott als „Herren“ macht Gott überflüssig, unverständlich und banal.

Was wäre die Alternative? Gibt es eine Möglichkeit, die ursprüngliche Bedeutung dieses Bildes von „Gottes Herrlichkeit“ zu retten, also die, dass Gottes Wille höher ist als das Höchste, das wir uns auf Erden vorstellen können, und das früher eben die Herren waren, heute aber schon lange nicht mehr?

Was ist denn heute das Höchste, das Menschen als Maßstab ihres Handelns anerkennen und das Gefahr läuft, die unbedingte Autorität Gottes in Frage zu stellen? Das wäre die Frage, über die wir nachdenken müssten, um zeitgemäße und verständliche Begriffe für Gott zu finden. Ich vermute, es ist sowas wie „Ich“ oder „Vernunft“.

Gott ist mein wirkliches Ich, Gott ist meine wirkliche Vernunft, in der Art vielleicht.

22 Antworten auf „Warum man Gott nicht mehr als „Herrn“ beschreiben kann

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  1. Davon abgesehen beinhaltet Gott auch sehr viele „weibliche Eigenschaften“: Güte, Vergebung und dergleichen. Selbst die katholische Kirche lehrt in ihren Taufkursen, dass die Idee, Gott ein Mann, auf die damalige Zeit zurückzuführen sei und Gott jenseits der Vorstellungen von männlich und weiblich existiere. Dazu kommt, dass Gott im christlichen Sinne nicht nur der Richter ist, sondern vielmehr in der Dreifaltigkeit Beziehungsfähigkeit ausdrückt: sein Wesen ist die Beziehung zwischen Personen.

  2. „Ich vermute, es ist sowas wie ‚Ich‘ oder ‚Vernunft‘.
    Gott ist mein wirkliches Ich, Gott ist meine wirkliche Vernunft, in der Art vielleicht.“

    Schöner logischer Beitrag.

    Was ich wie immer aber nicht verstehe: Warum Vernunft als das Göttliche? Warum nicht das Herz, und die Weisheit als Intelligenz des Herzens, die im Gegensatz zur Kopf-Vernunft „automatisch“ nach ethischen Maßstäben funktionieren.

  3. Ein guter Beitrag. Ja, Gott kann man nicht geschlechtlich definieren. Herr(gott) ist also irreführend. Für mich ist Gott Herz, Liebe, eine stärkende Instanz. Ich gebe zu, ich stoße mich gerade in Gebeten/Liturgie/Liedern an den anmutenden Zuordnungen : Gott als männnliche Größe. Was kann man tun?

    1. @Christa Hengsbach – Ich rede z.B. von Gott konsequent in weiblichen Pronomen, um ein bisschen gegenzusteuern 🙂 Das schöne daran, die Leute sind kurz irritiert, aber sie trauen sich nicht mehr, zu widersprechen, da die allgemeine Behauptung ja inzwischen ist, Gott hätte kein Geschlecht…

      1. Interessant, was sagst Du? Da würde ich gerne als werdende Prädikantin arbeiten…LG.

  4. Der Text der Bibel ist aber eindeutig: Gott ist der Kyrios. Dass bezeichnet im Altgriechischen auch den Besitzer von Sklaven. Ob das Konzept der Herrschaft heute noch geteilt wird oder nicht, ist für Gott irrelevant.

    1. @El_Mocho – Die Bedeutung von Wörtern verändert sich im Lauf der Jahrhunderte. Wenn man stur beim selben Wort für Gott bleibt, obwohl alle anderen Menschen unter dem Wort inzwischen etwas ganz anderes verstehen als ursprünglich damit gemeint war, dann macht man den Text unverständlich oder verfälscht ihn sogar.

      Und der Satz „Gott ist dein Herr“ hat eben für eine Sklavin, die auch einen realen Herren hat, der sie täglich herumkommandiert, schlägt und vergewaltigt, eben eine andere Bedeutung (in dieser Situation ist der Satz verständlich und hat eine befreiende Botschaft), als für einen Menschen von heute, der auf der Erde noch nie mit jemandem zu tun hatte, der als sein „Herrscher“ aufgetreten ist.

      Wir können weiter aus sentimentalen Gründen der weil wir uns dabei besonders „bibeltreu“ vorkommen, von Gott als „Herrscher“ reden, aber dann müssen wir uns nicht wundern, wenn die Mehrzahl der Leute damit nichts anfangen können oder so einen Glauben sogar bekämpft.

  5. Ich bin in einem atheistischen Umfeld aufgewachsen. Gott ist mir als Kind in Kunst und Musik begegnet, die in meiner Familie präsent waren, Zugang zur Bibel habe ich über Oratorien bekommen. Mein Bild von Gott entstand aus dem Lied “ Lieber Gott, du bist so groß, und ich lieg in Deinem Schoß, wie in Mutters Schoß ein Kind, Liebe deckt und birgt mich blind“. In diesem Bild war Gott für mich als Kind ein riesiger alter Mann mit langem Bart, in dessen Händen ich lag und liebevoll bewacht wurde- wobei es sich eher mütterlich anfühlte. Inzwischen habe ich die Anwesenheit des Göttlichen in meinem Leben erfahren und erfühlt, und es erübrigt sich ein Bild… Das Göttliche zeigt sich als so groß und allumfassend, dass ich dafür kein Bild und auch kein einzelnes Wort habe. Ich weiß, es ist da, es ist in allem, und es ist in mir. Ich bin ein Teil davon, und es ist Teil von mir. Alles ist Teil davon, und es ist in allem. Alles ist mit allem verbunden und wirkt aufeinander ein. Ich mochte schon immer die indianische Vorstellung vom „Großen Geist“, und wenn ich bete oder meditiere, spreche ich das Göttliche gern so an. Aber auch der Begriff des „Tao“, des „Allganzen“, gefällt mir. Wenn ich mit nicht gläubigen Menschen arbeite, spreche ich vom Universum, das auch all das umfasst, das funktioniert ganz gut… Die gläubigen Menschen haben anstelle des Universums andere Begriffe gesetzt wie “ die göttliche Kraft“, „das Göttliche“, eine Lateinamerikanerin sagt “ el mundo espíritual“.
    In der Sprache einen zeitgemäßen Ausdruck dafür zu finden, halte ich für wichtig, aber nicht einfach. „Das Göttliche“ finde ich aber schon mal besser als „Gott“, weil es nicht personalisiert ist, weder männlich noch weiblich…
    Ich finde übrigens auch, dass wir eine zeitgemäßere Bibel bräuchten…Die Bibel ist geschrieben in einer Zeit, in der so andere Verhältnisse als heute herrschten, dass sich vieles davon nicht mehr auf heute übertragen lässt. Obwohl viele Gleichnisse auch heute noch anwendbar sind, aber für den Laien doch sehr schwer zu verstehen. Vor allem das Konzept von Schuld und Sühne und Strafe halte ich für die heutige Zeit für überholt. Es geht nicht um Schuld, sondern um Verantwortung, um Gemeinschaft, um Liebe, um Erfahrung, um Vergebung. Brauchen wir dafür nicht heute andere Geschichten und Bilder? In den letzen beiden Jahren, als ich Weihnachten im Gottesdienst saß, kamen mir die Tränen bei den Predigten, weil die Botschaft Jesu nach über 2000 Jahren immer noch so wenig angekommen ist im Leben…

  6. Zu Juttas Geschichte Zeile !2 bis 17
    „Ein und derselbe Mond spiegelt sich in allen Wassern;
    alle Monde im Wasser sind eins mit dem einen einzigen Mond.“ (Verfasser unbekannt)

  7. Ich stimme dir zu, Antje: „Herr“ ist inzwischen ähnlich unbrauchbar wie z.B. „Heiland“. Insofern gehört die Lutherbibel wirklich langsam mal ins Museum. Stattdessen wir sie gerade sogar mal wieder revidiert – was soll dabei herauskommen?
    Überraschend allerdings, dass auch neues christliches Liedgut das Wort „Herr“ noch so häufig benutzt. Auch das englische „Lord“ scheint ja nach wie vor sehr populär zu sein.
    By the way: „König“ finde ich weiterhin passend, auch wenn da natürlich auch eine gewisse Sinnverschiebung stattgefunden hat. „Allmächtiger“ geht auch immer. „Chef“ ist m.E. verniedlichend, das lehne ich eher ab.
    Mit „Ich“ und „Vernunft“ kann ich wiederum rein gar nichts anfangen. Gott ist für mich nur denkbar als Person außerhalb des eigenen Ichs/der eigenen Vernunft.

  8. Wie wäre es mit Geschlechtsneutral und liebt jeden und alles? Könnte es vielleicht sein 🙂
    Es kann alles nur aus einer Liebe entstanden sein. Gott versteckt sich in der weiblichkeit und männlichkeit und die mitte ensteht aus einem Seelenkern, Seelenkind, Seelenlicht, Photon. Ich denke wir sind seine lieben Seelenkinder. Ich denke wir dürfen es nicht erfahren sonst, wäre es ja kein Geschenk.

  9. Ich finde die Übersetzungen in der Bibel in gerechter Sprache sehr inspirierend. Die Lebendige, die Ewige auch schön geheimnisvoll ha-makom: der Ort, Gott als Raum als Ort zum Lebenkönnen.

  10. Wer meint keinen Sinn für die Schrift, aus der Schrift, gewinnen zu können, vermag wohl nicht mehr Herr zu gebrauchen, weil sein Sinn von Herr Gott nicht gerecht wird. Wer jedoch die Schrift hochhält den Sinn darin entdeckt hat oder entdecken will, wird Gott immer als Herrn aller Herrn bezeichnen. Ausserdem, nur weil sich die Herrn heute nicht mehr Herrn nennen (tun sie wohl sicherlich doch, von ihrem Personal, alle anderen sollen sie wohl oft nicht anreden) weiß ein jeder dass es sie gibt, auch wenn sie einem nicht unterkommen. „Der Staat“ könnte morgen verlangen dass man für ihn in den Krieg zieht, wenn da nicht ein Herr über einen dahintersteht?

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