Kein Argument gegen den historischen Jesus

Gerade lief mir auf Facebook ein Link über den Weg zu einem Artikel, der davon handelt, dass „immer mehr“ Wissenschaftler die historische Existenz Jesu in Frage stellen würden.Ich kann nicht beweisen, wer da Recht hat, aber einen Gedanken möchte ich hier festhalten:

Das Hauptargument, das in dem Artikel angeführt wird – nämlich dass es keine nicht-christlichen zeitgenössischen Zeugnisse über Jesu gebe – ist kein wirkliches Argument. Denn wenn wenn man (wie ich und auch ein paar andere) davon ausgeht, dass die eigentliche „Gründung“ des Christentums nicht auf Jesus selbst zurückgeht, sondern auf seine Anhängerinnen und Anhänger und das, was sie nach seinem frühen und unerwarteten Tod in Gang brachten, wundert die Nichterwähnung der Person Jesu in zeitgenössischen Quellen nicht.

Jesus selbst war quasi „nur“ ein Wanderprediger unter vielen. Er war zwar der „Erlöser“, aber wegen seiner Ethik, seiner Lehre, dem, was Rita Nakashima Brock und Rebbecca Ann Parker als „Ethical Grace“ beschreiben. Die Erlösung, die „gute Nachricht“, war nicht Pauken und Trompeten vom Himmel, sondern ein Vorschlag, das Leben auf der Erde anders zu gestalten und sich nach anderen Kriterien zu verhalten als die ansonsten üblichen (Stichwort Feindesliebe, Stichwort Nadelöhr für Reiche usw.).

Wie wirksam diese Nachricht ist, hing nicht von dem Überbringer ab, sondern davon, dass andere sie hörten, beherzigten, bezeugten. Und die „Jesusbewegung“ tat ja noch mehr: Sie bewahrte und verbreitete nicht nur die ethischen Lehren Jesu, sie konzipierte dazu noch eine neue Idee von Erfolg, indem sie, sozusagen „töricht“ (wie Paulus sagte), einen Gekreuzigten als eigentliches Vorbild darstellten, also einen „Loser“ verehrten und daraus eine neue Theologie entwickelten. In dem sie eine andere Vorstellung von Gott entwarfen, die sie sich nicht als in erster Linie stark und glorios und Zampano vorstellten, sondern als menschlich, dienend, „unter uns“ seiend. Die Letzten werden die Ersten sein.

Dabei waren sie natürlich inspiriert von Jesu Lehre. Aber Jesus selbst war an der Ausarbeitung dieser Theologie und dieses Gottesverständnisses nicht mehr persönlich beteiligt. Er war ja schon tot.

Nicht was Jesus historisch getan hat, war das eigentliche „Ereignis“, das zum Christentum führte, sondern wozu er andere inspiriert hat. Und bis das ein Momentum erreichte, dass es öffentlich sichtbar und relevant wurde, sind halt eben ein paar Jahrzehnte vergangen.

In den Augen der „Herrschenden“ war die historische Person Jesu unwichtig, und in den Augen seiner Zeitgenossen und Zeitgenossinnen auch – jedenfalls in den Augen derer, die nicht zu seinen Jüngerinnen und Jüngern gehörten. Warum also sollten sie über ihn schreiben?

Das stimmt übrigens nicht nur für Jesus. Es gibt sowieso sehr viele sehr wichtige Menschen (mehr Frauen als Männer), die es nie in irgendwelche Nachrichten oder Geschichtsbücher schaffen.

#justsaying

 

 

4 Antworten auf „Kein Argument gegen den historischen Jesus

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  1. Das Argument „dass es keine nicht-christlichen zeitgenössischen Zeugnisse über Jesu gebe“ ist in der Tat kein Argument.

    Es ist ein missbräuchliches Zitat von Bart Ehrmann, der in Wahrheit ein Verfechter der Historizität Jesu ist und ein Buch darüber veröffentlicht hat.

    http://www.bartdehrman.com/did-jesus-exist/

    Der verlinkte Artikel „A Growing Number of Scholars Are Questioning the Historical Existence of Jesus“ ist meiner Meinung nach ziemlicher Schrott.

  2. Schon Bultmann sagte doch, wir haben Jesus „nur“ im Kerygma. Und was wir über den historischen Jesus wüssten, passe auf eine Postkarte. Sprich: Er hat schon damit aufgeräumt, dass wir den hist. J. als „Beweis“ für irgendwas bräuchten. Warum müssen wir uns jetzt nochmal aufregen und alles nochmal denken?

    1. Weil einen (1) kerygmatischen Jesus anzunehmen ein Märchen ist.

      Der historische Jesus widerspricht orthodox trinitarischen Varianten.

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